Der Plan

gezeichnet von Catherine Fritz

Draußen fängt es schon langsam an, zu dämmern. Der Dino, die Maus und der Kakadu sprechen aber noch immer über das Buch. Kaduko erzählt ihnen alles, was er über dieses Buch weiß.
„Was! Das ist ein magisches Buch?“, fragt Domenica ganz überrascht, als er fertig ist.
„Ja, so kann man es auch ausdrücken“, antwortet Kaduko, „Mein Klassenvorstand Prof. Ciconi hat uns während unserer Schullaufbahn öfters davon erzählt.“ Prof. Ciconi ist ein lustiger Storch, alle mögen ihn. Er hat zwar nur Biologie und die anderen naturwissenschaftlichen Fächer unterrichtet.“
Aber Kaduko hat auch den Unterricht andere Professoren genossen: Prof. Bubo, ein Uhu, ist sein Mathematik- und Geschichte-Professor gewesen; Dr. Karl Mayer sein Deutsch, Latein und Griechisch Prof.; Orpheus ihr Gesang und Musik Prof.; und Sokrates ihr Philo-Professor. Er hat sehr gute Professoren gehabt.

„Wie geht denn eigentlich die Geschichte von diesem seltsamen Buch?“, fragt Domingo.
„Es ist ja eigentlich nur so eine Erzählung, bei der man nicht weiß, ob wirklich etwas dran ist.“, beginnt Kaduko, „Und die Hintergrundgeschichte ist sehr mysteriös.“
Er fährt fort: „Elf Tage vor Weihnachten werden drei Hinweise den Weg zum Werk secretum scholae XXX. Hagenmuellergasse weisen“ – das hat Ciconi ihnen damals erzählt – „Doch diese Chance besteht nicht jedes Jahr. Nur wenn die Zehner- und Einer-Ziffer des Jahres sich gleichen, kann die Suche erfolgreich sein. Die Nullerjahre sind ausgenommen. Jeder GRg3-Schüler sollte seine einmalige Chance nutzen und beim Suchen helfen, denn der Inhalt ist sehr wichtig und wertvoll.“
„Was kann das denn sein »wichtig und wertvoll«?“, Domingo schaut Kaduko fragend an
„Das ist ja das Rätsel“, erklärt Kaduko.
„Oh, dann kann es nur ein sehr gutes Keks-Rezepte-Buch sein.“ Domenica läuft beim Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen.
„Nein, es ist sicher etwas Wichtigeres.“
„Kekse sind das Wichtigste, was es gibt.“

Kaduko fährt fort, was Prof. Ciconi ihnen über das Buch beigebracht hat: „Es wird erzählt, dass nur Schüler des GRg3 den richtigen Weg finden können. Aber auch nicht allein, sie müssen mindestens zu zweit sein. Wenn das Buch nach dem elften Mal nicht gefunden wird, verschwindet es komplett.“ Das erste Mal ist es ja 1911 – zwei Jahre nach dem Bau des Schulgebäudes – aufgetaucht. Dann in den Jahren 1922, 1933, 1944, 1955, 1966, 1977, 1988, 1999 und 2011, wie erwartet.
„Das heißt also, dass du es 2011 schon einmal gesucht?“, wundert sich Domenica.
„So ist es, aber unsere Suche war erfolglos“, Kaduko sieht sie nicht an.

Die ganze Klasse hat zur Adventzeit 2011 nach irgendwelchen Hinweisen gesucht. Doch nie haben sie etwas gefunden. In jedem Eck und in jeder Ritze haben sie nachgeschaut – aber alles vergebens. Prof. Ciconi hat uns getröstet, dass eigentlich noch nie eine Person dieses Buch gefunden hat. Einige Schüler haben geglaubt, dass diese ganze Geschichte eben nur eine Geschichte sei. Nicht einmal White und Kaduko haben einen Hinweis gefunden. Die beiden haben auch geglaubt, dass das alles nur erfunden sei.
Doch dann hat Ciconi einmal einen Zettel gefunden, auf dem stand, dass im Jahre 1944 eine Person dieses Buch gesehen hat – er hat ihn vorgelesen: »Dezember 1944. Secretum scholae XXX. Hagenmuellergasse liegt scheinbar am Dachboden. Ich gehe zum Buch, um sicherzugehen, dass es sich wirklich um das Buch handelt, weil ich noch keinen einzigen Hinweis gefunden habe. Ich will es gerade öffnen, als im selben Moment ganz in der Nähe ein Einschlag zu hören ist. Ich lasse es geschockt fallen. Ich hebe es wieder auf, und der Raketenhagel geht weiter. Als wäre er nur wenige hundert Meter von der Schule entfernt. Ich mache mich auf den Weg zum Ausgang. Plötzlich schlägt eine Flackgranate im Dach ein. Ich falle hin, und das Buch fällt mir aus den Händen.
Als ich wieder zu Bewusstsein kam ist das Buch weg gewesen.
«
Das Schreiben ist von einem Großen B signiert worden.
Und ein PS. war auch noch dabei: »Ich wünsche allen Suchenden der nächsten Jahre, dass sie fündig werden und mehr von dem Buch haben.«

„Krass“, sagen Domingo und Domenica gleichzeitig, als Kaduko fertig mit dem Erzählen ist. Die beiden können die Geschichte kaum glauben und schauen sich erstaunt an.
„Und wer ist jetzt dieser B?“, fragt Domenica
„Ist das nicht offensichtlich? Das kann nur Blanc sein. Ich bin aber auch erst relativ spät draufgekommen, dass er es ist – kurz bevor ich hier angekommen bin“, antwortet Kaduko, „Außerdem, als Prof. Ciconi uns diesen Hinweis vorgelesen hat war Weihnachten 2011 schon längst vorbei. White schob die Schuld auf mich, da wir nicht fündig wurden, und ich auf ihn. White hat gesagt, dass er es sicher gefunden hätten, wenn ich nicht dabei gewesen wäre. Wir haben uns ausgemacht, wenn er es 2022 findet, hat er recht, wenn nicht, dann ich. Deshalb muss ich das Buch vor ihm finden.“
Domingo und Domenica sind sprachlos. Sie haben nicht gewusst, was für ein Ausmaß die ganze Geschichte hat. Dennoch versprechen sie Kaduko, zu helfen – unter einer Bedingung: Kaduko muss White das Buch schenken und sich mit ihm versöhnen.
Und das muss dieses Jahr passieren. Denn 2022 erscheint das Buch zum elften und letzten Mal…

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