Der Dachboden

gezeichnet von Catherine Fritz

Die Tür öffnet sich.
„Achtung! White kommt auf uns zu, wir bewegen uns besser nicht!“, flüstert Kaduko leise.
Die Tür des Biologie-Kammerls wird geöffnet und White biegt in das Lehrer-Stiegenhaus, bevor er die Treppen hinauf läuft. Der Ton, den seine knöchernen Füße von sich geben, hallt im kleinen Treppenhaus noch nach. Es klingt grauenhaft.
„Ein Glück, dass er sich nicht umgedreht hat. Sonst hätte er uns sicherlich bemerkt“, wispert Domenica.
„Was sollen wir denn jetzt machen?“, fragt Domingo. Sie können ja jetzt nicht einfach nach unten gehen und den Kekse-Teig vorbereiten, während White seelenruhig das Buch sucht. Es könnte sie ja vielleicht auch interessieren.
„Das Buch suchen und die Kekse backen.“
„Wenn wir das Buch in unseren Händen halten, dann haben wir alle Zeit der Welt, Kekse zu backen“, wendet Kaduko ein, „aber dazu müssen wir unbedingt das Buch finden.“
„Dann haben wir aber nicht mehr viel Zeit für die Sucherei. Wo sollen wir denn nur beginnen? In der Küche?“
„Was ist da jetzt eigentlich, diese Sache mit dem Buch? Wieso hast du so ein schlechtes Verhältnis mit White? Was ist hier seit einigen Tagen eigentlich los?“ Domingo kennt sich überhaupt nicht mehr aus. Er hat unendlich viele Fragen: Plötzlich taucht ein Kakadu auf und die ganze Welt verändert sich. Die beiden Skelette können auf einmal reden. White scheint zu wissen, wo Kaduko ist, aber nicht wo das Buch ist. Aber Blanc weiß es dafür und Kaduko anscheinend auch.
„White war mein Klassenkamerad. Er war immer neidisch auf mich, weil er nie so gut war wie ich. Obwohl wir früher, also, noch früher, immer alles gemeinsam gemacht haben – wir haben uns gut ergänzt…“, erzählt Kaduko, „Am besten verfolgen wir jetzt mal White, damit wir ihn nicht verlieren.“ Kaduko schaut sich um. Blanc hat sich vom Türrahmen entfernt, die Luft ist rein.

Und schon machen sich die drei auf den Weg. Sie laufen die Treppe hinauf. Währenddessen erzählt Kaduko weiter:
„Dann hat Prof. Ciconi uns die Legende von einem Buch erzählt. White und ich haben gemeinsam gesucht, doch nichts gefunden – wir waren jung, wir wollten Abenteuer. Deshalb waren wir von Anfang an sehr begeistert zu suchen. Während der Dauer unserer gesamten Freundschaft hatten wir eigentlich noch nie ein Ziel verfehlt. Da fingen wir an, uns gegenseitig zu beschuldigen…“ Kaduko rinnt eine Träne über seine Federn.
„Oje, das ist ja traurig. Was steht denn im Buch so Spannendes drinnen?“, fragt Domingo.
„Ja, das ist eine gute Frage. Es…“, fängt Kaduko an, als er plötzlich von Domenica unterbrochen wird:
„Aber Hallo! Da wohne ich. Er kann doch nicht einfach ungefragt in meine Wohnung spazieren!“ White nähert sich langsam der Einrichtung von Domenicas Wohnung.
„Beruhige dich doch! Wir werden gleich nachschauen, was er vorhat“ Domingo versucht, sie zu beruhigen.
„Ich sag’s dir, er will nur noch meine Reserve-Kekse essen. Hast du sein Gesicht nicht gesehen? Er ist voll und ganz darauf aus, meine Kekse wegzuessen. Da oben gibt’s sicher keine Hinweise, sonst hätte ich sie schon entdeckt.“
Domingo öffnet leise die Türe zu Domenicas Wohnung und Kaduko, Domenica und er schlüpfen durch den Spalt hindurch. White befindet sich am anderen Ende des Raumes und sucht und tastet die Wände ab. Jetzt müssen sie ganz leise sein, damit White sie nicht entdeckt.
„Wieso muss er so viel Staub aufwirbeln? Jetzt muss ich morgen wieder den ganzen Tag putzen“, flüstert Domenica Domingo und Kaduko entnervt zu. Langsam nähert sich White Domenicas Schlafstätte.
„He du, wenn –“ Doch bevor Domenica noch irgendetwas von sich gibt, hält Domingo ihr den Mund zu. Aber diesmal will Domenica sich gar nicht aufregen. Sie will ihm nur sagen, dass er gleich mit dem Lappen den Balken abwischen kann, weil Domenica nicht so hoch kommt. Glücklicherweise hat Domingo sie dadurch jedoch davor bewahrt, entdeckt zu werden. Denn das war ja ihre Mission.

White mustert Domenicas Zimmer. Es befindet sich unter der Treppe, die aufs Dach führt. Als Bett hat sie einen Schuhkarton, gefüllt mit den diversesten Stoffresten aus dem Textilwerksaal. Direkt unter den Stufen sind Kanister befestigt. Wenn es regnet, können diese per Regenrinne wieder aufgefüllt werden. Das Abwasser wird in das Regen-Abwasser-Rohr geleitet. Strom hat Domenica auch. Domingo hat für sie extra eine Steckdose eingebaut, man will ja mit der Zeit gehen. Sie hat sogar ihr eigenes kleines Solarkraftwerk am Dach und kann ihren Strom von dort beziehen. Domenica hat alles, was das Mäuseherz begehrt.
White inspiziert ihre Wohnung ganz genau. Scheinbar findet er aber nichts. Auch in den anderen Winkeln des Zimmers gibt es nichts Verdächtiges oder Hilfreiches. Er wirkt etwas enttäuscht. Kaduko ebenfalls.
„Vielleicht heitert ihn ja einer meiner Kekse auf“, meint Domenica. Doch White verlässt gerade den Raum. Weil es schon recht spät ist, und White wieder in den Biologiesaal zurückkehrt, lädt Domenica Domingo und Kaduko auf einen Kaffee bei sich ein. Sie sprechen noch lange weiter.

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